Die FGG-Reform ab 01.09.2009

für umgangsberechtigte Eltern und deren Beistände

– Von Fachanwalt für Familienrecht Alexander Heumann, Düsseldorf –

I. Als substantielle Änderung im neuen Verfahrensrecht ist an erster Stelle das für bestimmte Kindschaftssachen (u. a. auch für Umgangsverfahren) geltende sog. „Beschleunigungsgebot“ zu erwähnen [1], das allerdings – kaum bekannt bzw. beachtet – schon seit Juli 2008 in Kraft ist:

1. Spätestens einen Monat nach Beginn des Verfahrens „soll“ ein früher Erörterungstermin mit den Beteiligten „stattfinden“ [2]. Richter müssen die betr. Kindschaftssachen „vorrangig“ vor allen anderen bei ihnen anhängigen Sachen „durchführen“ (§ 165 I FamFG), also bearbeiten und terminieren. Es gilt also insoweit nicht mehr das Prinzip ´wer zuerst kommt, mahlt zuerst´, ein Novum im familiengerichtlichen Verfahren.

2. Anwaltlichen Terminverlegungsanträgen, an denen das frühzeitige Stattfinden eines Termins bislang häufig scheiterte, darf der Richter nur noch dann stattgeben, wenn die Terminskollision gerade aufgrund eines früher anberaumten Termins in einer anderen, dem Beschleunigungsgebot unterliegenden Kindschaftssache besteht.

3. Dem Gebot des rechtlichen Gehörs soll (lediglich) insoweit Rechnung getragen werden, als die das Verfahren einleitende Antragsschrift den übrigen Beteiligten und dem Jugendamt mindestens eine Woche vor dem Termin bekannt zu geben ist. Diese müssen sich allerdings in der kurzen verbleibenden Zeit nicht schriftlich äußern, sondern lediglich im Termin ihre Stellungnahme mündlich abgeben. Auch die Antragsschrift selbst kann sich infolgedessen auf das Wesentliche beschränken, etwa darauf, dass es ´Probleme mit dem Umgangsrecht´ gibt. In epischer Breite vorgetragene Vorwürfe an die Gegenseite, ´Waschen von schmutziger Wäsche´ etc. – all´ das kann und soll unterbleiben.

4. Gesetzgeberische Intention: „Mit einer schnellen Terminierung soll eine Eskalierung des elterlichen Konflikts vermieden werden. Insbesondere in der ersten Zeit nach der Trennung ist die Kompetenz beider Eltern zu verantwortlichem Handeln oft reduziert, was tendenziell zu einer Zuspitzung der Konflikte führt. Gerade in dieser Situation ist es wichtig, die Eltern nicht längere Zeit allein zu lassen. Der Anspruch des Kindes auf Schutz vor überflüssigen Schädigungen gebietet es vielmehr, dass das Familiengericht so schnell wie möglich versucht, die Eltern im persönlichen Gespräch wieder auf den Weg zur Übernahme gemeinsamer Verantwortung zu bringen.“

So die – m. E. überzeugende – amtliche Begründung, der nichts hinzuzufügen ist.

5. Anwendungsbereich: Nicht alle Kindschaftssachen unterliegen dem Beschleunigungsgebot, sondern nur solche, „die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe eines Kindes betreffen“ (§ 165 I FamFG). Diese Unterscheidung erscheint angesichts knapper Ressourcen von Justiz und Jugendamt sinnvoll, zumal in anderen kindschaftsrechtlichen Verfahren, etwa in sorgerechtlichen Streitigkeiten, bei denen Obhut bzw. Aufenthaltsbestimmungsrecht unstreitig ist, ´Eile´ i. d. R. unnötig, ja sogar kontraproduktiv sein kann.

6. Der nicht hinreichend begründete zu späte Termin ist Verfahrensfehler. Fraglich ist, ob das OLG auf Beschwerde [3] aufheben und zurückverweisen muss. [4]

7. Trotz des per se geltenden Beschleunigungsgebots ist das Rechtsinstitut der einstweiligen (Eil-)Anordnung keineswegs obsolet geworden: Falls im frühen Erörterungstermin keine Einigung der Eltern erzielt werden kann, „hat das Gericht mit den Beteiligten und dem Jugendamt den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erörtern“ (§ 165 V FamFG). Ausweislich der amtlichen Begründung sollen hierdurch Verfahrensverzögerungen verhindert werden, „die durch eine Beratungsanordnung oder sachverständige Begutachtung unvermeidlich entstehen, und für das Kindeswohl abträgliche Situationen herbeiführen oder sogar vollendete Tatsachen schaffen. In umgangsrechtlichen Verfahren wird es dabei insbesondere darum gehen, einer Entfremdung zwischen dem Kind und der den Umgang begehrenden Person während des Laufs des Verfahrens entgegenzuwirken.“

Das Familiengericht kann in diesem Verfahrensstadium also gfs. auch von Amts wegen einstweilige Anordnungen zum Umgang erlassen. Ein entsprechender Antrag des Umgangsberechtigten ist gleichwohl empfehlenswert.

Die Möglichkeit zum Erlass einer einstweiligen (Umgangs-)Anordnung gilt es zu nutzen. Denn das explizite gesetzliche Beschleunigungsgebot endet nach dem ersten Termin wieder: Es steht im neuen FGG nirgends geschrieben, dass auch die weiteren Termine beschleunigt zu erfolgen haben. Insoweit muss also weiterhin das Beschleunigungsgebot des Art 6 I 1 EMRK in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg [5] und die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zur verfahrensrechtlichen Dimension des Grundrechtsschutzes in umgangsrechtlichen Streitigkeiten [6] bemüht bzw. darauf rekurriert werden, dass der dt. Gesetzgeber den Zwang zur Beschleunigung des Verfahrens als „unter Kindeswohlaspekten dringend erforderlich“ ansieht (so immerhin die amtliche Begründung zu § 165 V FamFG). Erfreulich wäre ein gesetzlicher Hinweis im BGB, dass auch in Kindschaftsachen die völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands – insb. die EMRK und die hierzu ergehenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – für Justiz und Behörden als innerstaatliches Recht beachtlich sind, wie das Bundesverfassungsgericht jüngst im Fall Görgülü[7] nochmals betont hat. Die wenigen Hinweise im GG (Art 20 III, 25, 59 II) erscheinen unzureichend.

II. Neue Zwangsvollstreckungsvorschriften für Umgangsbeschlüsse

Die bisher vor einer Festsetzung von Ordnungsgeld stets zu erfolgende förmliche „Androhung“ der Zwangsvollstreckung ist künftig nicht mehr erforderlich. Ausreichend ist jetzt eine – wohl obligatorische, schon im Umgangsbeschluss zu erfolgende – Belehrung für alle Beteiligten, dass das Gericht bei Zuwiderhandlungen gegen den Umgangsbeschluss „Ordnungsgeld verhängen kann“. Damit fallen künftig auch zeitaufwändige Beschwerden beim Oberlandesgericht gegen Zwangsvollstreckungsandrohungen weg. Das Verfahren wird schlanker und schneller.

III. Gesetzliche Verankerung des Rechtsinstitut des sog. ´Umgangspflegers´:

Seit 01.09.2009 ist die sog. Umgangspflegschaft erstmals ausdrücklich im Gesetz erwähnt, so dass Familiengerichte künftig wahrscheinlich häufiger bei Umgangskonflikten hiervon Gebrauch machen werden.

Der ´Umgangspfleger´ ist vom ´Aufenthaltsbestimmungspfleger´ zu unterscheiden, da er nur zeitlich begrenzt auf die im Umgangsbeschluss bestimmten Umgangszeiten das Aufenthaltsbestimmungsrecht erhält, um eine effektivere Durchsetzung des Umgangsrechts zu ermöglichen. Ob das gelingt, ist einzelfallabhängig. Wird das Kind nicht zum Umgang herausgegeben, benötigt auch ein Umgangspfleger einen gerichtlichen Herausgabebeschluß.[8]

Der Umgangspfleger ist auch nicht zu verwechseln mit dem für den sog. „begleiteten“ oder beschützen Umgang gfs. zuständigen ´Umgangsbegleiter´ (i.d.R. das Jugendamt).

Er ist auch kein ´Verfahrenspfleger´ (hierzu unten IV).

Welche Befugnisse ein Umgangspfleger nun genau hat, bedarf noch der Klärung durch Rechtsprechung und Literatur. Er eignet sich m. E. zum einen dann, wenn mit Hilfe eins neutralen Dritten ein Aufeinandertreffen der Eltern bei der Übergabesituation überhaupt vermieden werden soll. [9] Er darf also z.B. das Kind zu den gerichtlich bestimmten Umgangszeiten von der Mutter oder vom Kindergarten abholen und zum Vater bringen. Er kann aber auch schon dadurch nützlich sein und positiven Einfluß auf die Verfahrensbeteiligten erlangen, dass er schlicht bei der Kindesübergabe zugegen ist, weil er dann quasi als ´sachverständiger Zeuge´ dem Gericht (und gfs. auch dem Sachverständigen) unmittelbar vom Geschehen ´vor Ort´ berichten kann, über das man bislang angesichts widerstreitender Behauptungen nur mutmaßen konnte.

IV. Verfahrenspfleger (´Anwalt des Kindes´):

Der Gesetzgeber hat den bislang umstrittenen Aufgabenbereich des sog. ´Anwalt des Kindes´ nun dahingehend konkretisiert, dass dieser nicht mehr nur ´Sprachrohr´ für den (subjektiven) Kindeswillen, wie man bisher z. T. interpretierte, sondern auch dem (objektiven) Kindeswohl verpflichtet ist, was insbesondere in sog. ´PAS´-Fällen [10] wichtig ist. Er darf ausdrücklich grds. auch zwischen den Eltern vermitteln. Allerdings: Er benötigt für alles, was über die bloße Feststellung des Kindeswillens hinausgeht, z.B. auch für Gespräche mit den Eltern, einen vorherigen konkreten Auftrag vom Familienrichter, sonst kann er den entsprechenden Zeitaufwand nicht mit der Staatskasse abrechnen. [11] Nach Ansicht einiger Experten ist damit das Rechtsinstitut der Verfahrenspflegschaft praktisch kaltgestellt, weil gerade hochqualifizierte, hauptberuflich tätige Verfahrenspfleger/innen existenzielle wirtschaftliche Probleme bekommen werden, wenn sie ihre Aufgabe verantwortungsvoll und kindeswohlgerecht erfüllen wollen.

V. Neue vermittelnde Rolle des gerichtlichen Sachverständigen:

Künftig ist im Gesetz als Möglichkeit vorgesehen, dass der Familienrichter dem Sachverständigen den Auftrag erteilt, zwischen den Eltern zu vermitteln, um eine gütliche Einigung zwischen ihnen zu erzielen (§§ 166, 171 FamFG) – m. E. ein Fortschritt, da bislang die rechtliche Zulässigkeit der sog. interventionsorientierten Vorgehensweise [12] zumindest ungeklärt war.

Das Gericht kann und muss dem Sachverständigen von Anfang an Fristen setzen, was wiederum der Beschleunigung dient.

VI. Das sog. ´große Familiengericht´ ist nun endlich Wirklichkeit geworden:

Das Familiengericht ist seit 01.09.2009 auch für viele bei Trennung und Scheidung auftretende Verfahrensgegenstände sachlich zuständig, die man bisher bei der ´allgemeinen Zivilabteilung´ des Amtsgerichts, also einem anderen Richter, anhängig machen musste.

Dies gilt u. a. auch für Schadensersatzansprüche wegen nutzloser wirtschaftlicher Aufwendungen für boykottierte Umgangstermine. Mit entsprechenden Anträgen kann man also zum einen – u. U., d.h. soweit beim Antragsgegner überhaupt pfändbare Habe bzw. Einkommen vorhanden ist (!) – Geldersatz erlangen; zum anderen kann sich der Abschreckungseffekt für den umgangsboykottierenden Elternteil nun insofern verstärken, als der gleiche Familienrichter, der über das häufig parallel laufende Umgangs- und gfs. sorgerechtliche Verfahren entscheidet, auf diese Weise häufiger mit dem umgangsboykottierenden Verhalten des anderen Elternteils befasst ist, was möglicherweise seine Einstellung im parallelen betr. Umgangs- und/oder sorgerechtlichen Verfahren beeinflusst.

VII. Problem der „innerstaatlichen Kindesentführungen“ [13]:

Dankenswerter Weise beschäftigt sich der neue § 154 FamFG mit den leidigen Fällen eigenmächtigen (d.h.: ohne Einwilligung des anderen Elternteils oder entsprechenden Gerichtsbeschluss erfolgenden) Wegzugs mit dem Kind. Aufgrund des neuen Beschleunigungsgebots ist ein Bedürfnis hierzu auch (noch) weniger anzuerkennen, als bisher.

Unstreitig ist schon bisher, dass das Kind durch räumliche Trennung und Wegzug eines Elternteils einen doppelten Wohnsitz erlangt, infolgedessen die örtliche Zuständigkeit sowohl des Gerichts am bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort, als auch am neu begründeten gegeben ist. [14]

Nunmehr soll, wenn – wie meist – ein Elternteil das Verfahren am Gericht des neuen Kindesaufenthalts anhängig macht, eine Abgabe an das Gericht des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes als sachnäheres Gericht ermöglicht werden. Da sich das Gericht des früheren gewöhnlichen Aufenthalts zuvor zur Übernahme bereit erklären muß und die Beteiligten auch noch vorher angehört werden sollen (§ 4 FamFG), kann es allerdings auch durchaus zu Chaos und Hin- und Herschieben von Akten kommen, was das Beschleunigungsgebot konterkarrieren kann.

VIII. Nähe zum Cochemer Praxis:

Insgesamt ist festzustellen, dass wesentliche Elemente der so genannten ´Cochemer Praxis´ [15] nun in Gesetzesform gegossen wurden, insbesondere:

a) früher erster Erörterungstermin (in Cochem: sogar binnen 2 Wochen);
b) keine schriftsätzliche Vorbereitung dieses Termins;

c) Mitwirkung des Jugendamtes in nur mündlicher Form im Verhandlungstermin, ohne Zwang zum schriftlichen Bericht;

d) Gewisser „Druck auf die Eltern“ [16], sich gemeinsam einer Beratung zu unterziehen mit dem Ziel einer einvernehmlichen Lösung (§ 165 IV 4 FamFG).

IX. Fazit:

Insgesamt bilden die neuen verfahrensrechtlichen Vorschriften begrüßenswerte weitere Schritte in Richtung desjenigen Ziels, das bereits 1998 der Kindschaftsrechtsreform zugrunde lag: Dem Kind soll auch nach Trennung /Scheidung die Bindung an beide Elternteile soweit wie möglich erhalten bleiben !

RA Alexander Heumann

Düsseldorf, im Sept. 2009

[1] s. Heumann, ZkJ 2006, 200 f.

[2] § 165 II 2 FamFG

[3] Die [4] [5] hierzu Lansnicker/Schwirtzek, NJW 2001, 1969 f.

[6] BVerfG FamRZ 2001, 753 = NJW 2001, 961 (unter Hinweis auf das „besondere kindliche Zeitempfinden“ und der „Gefahr der faktischen Präjudizierung“ bzw. des „faktischen Umgangsausschlusses“ qua „Verfahrensverzögerung“); FamRZ 2000, 413 (414); FamRZ 1997, 871

[7] s. BVerfG, 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 (Fall Görgülü): „Zur Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) gehört die Berücksichtigung der Gewährleistungen der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung.“

[8] Da für jeden Umgangstermin ein neuer Herausgabebeschluß benötigt würde, wird das beim Umgangsrecht kaum je praktisch relevant.

[9] Rauscher, Familienrecht, S. 773 (Fn 54)

[10] S. zu ´PAS´: [11] Zur Bedeutung des Problems der Verfahrenspflegervergütung in kindschaftsrechtlichen Verfahren: Heumann, KindPrax 2005, 18 ff.

[12] s. hierzu: Bergmann/Jopt/Rexilius (Hrsg.), Lösungsorientierte Arbeit im Familienrecht. Intervention bei Trennung und Scheidung, 2002, S. 93/94 und 177 ff.

[13] Heumann, ZKJ 2008, 280 f.; Heumann, Das Jugendamt 2004, 14 f.; Gutdeutsch/Rieck, FamRZ 1998, 1488 f.: „Kindesentführung: ins Ausland verboten –im Inland erlaubt?“ Z. T. benutzen Mütter ihre Kinder als „Faustpfand“ indem sie mit ihnen Hunderte von Km. vom Vater wegziehen und diesem so das Kind praktisch entziehen. s. hierzu schon Klenner, FamRZ 1995, 1229.

[14] Leben die Eltern getrennt, hat das Kind bis zu einer sorgerechtlichen Entscheidung nach § 1671 einen doppelten „Wohnsitz“ (BGH 48, 228/234, NJW 84, 971, 95, 1224; BGH NJW-RR 1992, 578; 1994, 322).

[15] s. im Internet: www.ak-cochem.de

[16] so der Cochemer Richter Jürgen Rudolph im Interview (FF 2005, 167 f., 169)

Alexander Heumann
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