Verwirkung des Gatten- bzw. Geschiedenenunterhalts

In den Medien wird immer wieder das Thema „Unterhaltsverwirkung“ diskutiert, insbesondere im Zusammenhang mit ehelicher Untreue und /oder dem Eingehen einer neuen Partnerschaft.

I. Vor der Scheidungsreform 1977 galt noch das sog. „Schuldprinzip“: Derjenige, den das alleinige oder überwiegende Scheidungsverschulden traf, hatte keinen Anspruch auf Unterhalt.

II. Seit 1977 gilt stattdessen das sog. „Zerrüttungsprinzip“: Nicht nur die Voraussetzungen für die Scheidung selbst, sondern auch die Scheidungsfolgen, insbesondere die Unterhaltsansprüche, werden seither grundsätzlich losgelöst von der Frage einer ´Scheidungsschuld´ entschieden.

III. Der Gesetzgeber wollte die Verfassungsmäßigkeit des grundsätzlich schuldunabhängigen Unterhaltsrechts dadurch gewährleisten, dass ein Anspruch bei Vorliegen besonders schwerwiegender Ausschlußtatbestände versagt wird. Der Unterhaltsausschluß sollte aber wiederum dann nicht in Frage kommen, wenn der Unterhaltsbegehrende ein gemeinsames Kind betreute. Diese ausnahmslose Verbindung zwischen Kindesbetreuung und eigenem Unterhaltsanspruch hat das BVerfG im Jahre 1981 für unrechtmäßig erklärt und wörtlich ausgeführt:

„Wenn ein Ehegatte sicher sein dürfte, seinen Unterhaltsanspruch im Falle der Betreuung eines gemeinsamen Kindes auch bei einem schwerwiegenden, evidenten ehelichen Fehlverhalten nicht zu verlieren, könnte er verleitet werden, sich beim Auftreten ehelicher Schwierigkeiten nicht mehr um den Erhalt der Ehe zu bemühen, sondern sich stattdessen – unter Mitnahme des Kindes – einem anderen Partner zuzuwenden. Derartige Ehe beeinträchtigende Wirkungen unterhaltsrechtlicher Regelungen verbietet aber Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes. „

Daraufhin schuf der Gesetzgeber im Jahre 1986 einen Katalog von Ausnahmetatbeständen. § 1579 BGB lautet:

„Ein Unterhaltsanspruch ist zu versagen, herabzusetzen oder zeitlich zu begrenzen, so weit die Inanspruchnahme des Verpflichteten auch unter Wahrung der Belange eines dem Unterhaltsberechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes grob unbillig wäre, weil

1. die Ehe von kurzer Dauer war
(Anm.: Hier liegt die Grenze etwa bei 3 Jahren, gerechnet von Eheschließung bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags).

2. der Berechtigte sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen Verpflichteten oder einen nahen Angehörigen des Verpflichteten schuldig gemacht hat
(Beispiel: versuchter Prozeßbetrug, insb. im Unterhaltsprozeß).

3. der Berechtigte seine Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt hat,

4. der Berechtigte sich über schwerwiegende Vermögensinteressen des Verpflichteten mutwillig hinweggesetzt hat,

5. der Berechtigte vor der Trennung längere Zeit hindurch seine Pflicht, zum Familienunterhalt beizutragen, gröblich verletzt hat,

6. dem Berechtigten ein offensichtlich schwerwiegendes, eindeutig bei ihm liegendes Fehlverhalten gegen den Verpflichteten zur Last fällt.

7. ein anderer Grund vorliegt, der ebenso schwerwiegend wie in den Nrn. 1 bis 6 aufgeführten Gründe.“

Diese Vorschriften scheinen auf den ersten Blick ausreichend, um unzumutbare Unterhaltsansprüche abzuwehren, werden allerdings von den Gerichten sehr eng ausgelegt. Zum einen muß es sich um „grobe“ Unbilligkeit handeln. Schlicht „unbillige“ Unterhaltspflichten sind also hinzunehmen.
Zum anderen ist das Vorhandensein eines neuen Partners oder fortgesetzter Ehebruch auch oft schwer zu beweisen.
Außerdem muss es sich um ein einseitiges Fehlverhalten handeln. Dem Verwirkungseinwand kann relativ leicht mit (substantiiert vorzutragenden) Gegenvorwürfen begegnet werden, die der Unterhaltsverpflichtete dann entkräften muss (Gewalttätigkeiten, Beleidigungen, Gleichgültigkeit dem Partner gegenüber etc, sexuelles Desinteresse). Letztlich muß der Unterhaltsverpflichtet dann die Unrichtigkeit der Gegenvorwürfe beweisen, was oft unmöglich ist.

Sind gemeinsame Kinder vorhanden, kommt nur eine Reduzierung des Unterhalts in Betracht, häufig nicht einmal dies. Denn der Mindestunterhalt des kinderbetreuenden Gatten muß stets gesichert sein.

IV. Seit der Unterhaltsrechtsreform 2007 gibt es darüber hinaus den neuen Verwirkungstatbestand der „verfestigten (eheähnlichen) Lebensgemeinschaft“.
Dieser zielt auf besagte Konkubinatsfälle.
Nach der Gesetzesbegründung soll es künftig nicht mehr auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des neuen Partners ankommen.
In Fällen, bei denen bisher eine Unterhaltsbegrenzung aufgrund fehlender Leistungsunfähigkeit des neuen Partners nicht erreicht werden konnte, kann nunmehr Abänderungsklage erhoben werden.

V. Wolfgang Zeidler, ehemaliger Bundesverfassungsgerichtspräsident merkte im Jahre 1984 in einer Festschrift für den
Juristen Faller folgendes an:

„Der grundsätzlichen Entscheidung für den Übergang zum Zerrüttungsprinzip folgend sieht das seit 1977 geltende Gesetz auch für die Scheidungsfolgen eine Abwicklung unabhängig vom Verschulden vor, mit wenigen Ausnahmen für Extremfälle.
Die Folge ist, dass sowohl Regelungen über den Unterhalt, wie auch über den Versorgungsausgleich, mit ihren teilweise sehr einschneidenden Wirkungen für die Beteiligten zu treffen sind, ohne dass der Verlauf der Ehe und die Ursachen für die Trennung der Ehepartner erforscht und rechtlich bewertet werden.
Diese grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers, der das neue Prinzip bis zu seiner letzten Konsequenz zu verwirklichen
suchte, hat keine Akzeptanz in der Bevölkerung gefunden und weithin das Rechtsgefühl nicht befriedigt.
Für das Empfinden des natürlich denkenden Menschen und des juristisch unverbildeten Bürgers kann es für die Bestimmung der Scheidungsfolgen nicht unerheblich sein, auf welche Weise es zum Scheitern der Ehe gekommen ist.
Für die Lebenswirklichkeit bedeutet es einen erheblichen Unterschied, ob ein Ehepartner dem anderen aus Lust und Laune wegläuft oder ob er in bösartiger Weise von ihm verstoßen wird.
Es ist für das Rechtsgefühl nicht das Gleiche: der eine Ehemann trennt sich von einer zänkischen und streitsüchtigen Frau, die außerdem den Haushalt verwahrlosen läßt und die Kinder schlecht behandelt, und sucht sich eine neue Partnerin, bei der er persönliche Harmonie findet und sein Leben in Ordnung bringen kann; der andere läuft davon, nachdem er vielleicht lange Jahre verheiratet war und seine Frau in den Pflichten der Ehe alt geworden ist, um sich einer attraktiveren und jüngeren Partnerin zuzuwenden.
Ebenso ist die Ehefrau, die von ihrem Mann drangsaliert und mißhandelt wird und daraus die Konsequenz der Trennung zieht, anders zu beurteilen, als diejenige, die vielleicht ihren Tennislehrer attraktiver findet als ihren am Schreibtisch, an dem er das Familienvermögen erarbeitet hat, altgewordenen Mann.
Wenn diese unterschiedlichen, in ihrer moralischen Qualität verschiedenen Lebenssachverhalte vom Recht in Bezug auf die Folgen für Unterhalt und Altersversorgung völlig gleichartig behandelt werden, wird die Rechtsordnung weithin nicht mehr verstanden.
Die im Gesetzgebungsverfahren später in der Verteidigung der zugrundelegen Rechtsauffassung angeführten Gründe für diese Gleichschaltung von Scheidungsrecht und Scheidungsfolgenrecht vermögen allesamt nicht zu überzeugen.“

Alexander Heumann
Fachanwalt für Familienrecht

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